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  • AutorenbildLisa Aeschlimann

Zu faul für Gleichberechtigung: Generation Y


Die Jungen von heute sind offen, modern und tolerant. Die Frauen emanzipiert, Gleichstellung eine Selbstverständlichkeit. Würde man denken, ja sogar voraussetzen, nach all dem, was sich in den letzten Jahrzehnten für die Frauen verbessert hat. Doch immer wieder muss ich lernen: Gleichstellung ist auch in meiner Generation – ich bin 24 Jahre alt – überhaupt keine Selbstverständlichkeit. Und das hat gleich mehrere Gründe.

Ehrlich gesagt: Das Thema Gleichstellung hängt den meisten zum Hals raus. Wenn wieder eine Studie veröffentlicht wird, die erneut bestätigt, dass Frauen noch immer untervertreten sind in Führungspositionen, dass sie für dieselbe Arbeit gut 12 Prozent weniger verdienen, dann findet keine Diskussion mehr statt. Wenn ich mich darüber ärgere und frage, warum das so ist und wie man das ändern könnte, dann höre ich nur zu oft und begleitet von einem müden Augenrollen: «Lisa, lass das, ihr habt Gleichstellung. Darüber müssen wir nicht mehr diskutieren». Frauen arbeiten einfach in Berufen, in denen man weniger verdient, das ist halt so. Das sagen nicht die Grossväter, die in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, in der Frauen noch die Unterschrift des Ehemannes verlangen mussten, um arbeiten gehen zu können. Nein, es sind meine gleichaltrigen Bekannten, Studienkollegen und Freunde.

Lohnungleichheit? Diese Studie sagt nichts aus.

Die Diskussion über die Gleichstellung der Frau findet also gar nicht mehr statt, ja es wird argumentiert, alles sei recht und gerecht. Manchmal glaube ich selbst fast daran, mir fallen Ungerechtigkeit und Sexismus beinahe nicht mehr auf. Ein Beispiel: Kürzlich war ich eingeladen an ein Bewerbungsgespräch für eine Stelle auf einer Wirtschaftsredaktion eines grossen Medienunternehmens. Ich hatte mich nicht auf die Stelle beworben, sondern der Ressortleiter hatte mich angerufen und auf ein Gespräch eingeladen.

Wir trafen uns in einem Café in der Stadt, sprachen über Wirtschaftsthemen, die Medienkrise allgemein – es war kein unangenehmes Gespräch. Bis ich die unweigerliche Frage stellte, wieso er genau mich ausgewählt hatte, was ihn von meinem Dossier überzeuge – schliesslich hatte er sich ja gemeldet. Die Frage warf ihn für einen kurzen Moment aus der Bahn, er blätterte in meinem Dossier und zeigte schliesslich mit einem Finger auf mein Bewerbungsfoto und sagte: «Deswegen.»

Weswegen ich Sie ausgewählt habe? Wegen des Fotos.

Das Schlimme daran war nicht nur seine Aussage, sondern, dass mir erst später am Nachmittag überhaupt bewusst wurde, was da passiert war. Dass es für mich so normal erschien, nach meinem Äusseren bewertet zu werden, schockierte mich am meisten. Dass ich mein Bewusstsein dafür verloren hatte, dass ich dachte, Sexismus und Diskriminierung beträfen mich ja nicht. Wäre ein Mann an meiner Stelle gesessen – die Antwort wäre definitiv anders ausgefallen, sein Aussehen hätte keine Rolle gespielt.*

#metoo? Das ist unnötig und lächerlich

Doch die Frauen stehen sich auch selbst im Weg. Die #metoo-Bewegung hat es wieder gezeigt: Frauen äussern sich öffentlich und behaupten, sexuell belästigte Frauen seien selber schuld. So zum Beispiel Therese Schläpfer, die SVP-Gemeindepräsidentin von Hagenbuch, die in einem Artikel des Landboten die Bewegung als «unnötig und «lächerlich» diffamiert.

Zum Fall um Harvey Weinstein meint sie: «Da fragt man sich ernsthaft, wie es kommen kann, dass einzelne Frauen nicht imstande sind, auf eine anzügliche Bemerkung adäquat zu antworten oder sich genügend distanziert zu geben, dass sie sich Respekt verschaffen und sich nicht anfassen lassen müssen.» Es ist also die Frau, die sich hätte anders verhalten müssen. Wird einem Opfer eines Raubüberfalls auch vorgeworfen, es hätte sich zu wenig gewehrt? Eben.

Und dann gibt es auch genügend Frauen in meinem Alter, die so ziemlich die Ansichten einer «guten Hausfrau» von anno 1950 vertreten. So wurde mir schon im Ernst von einer Bekannten, einer 30-jährigen Mutter von drei Kleinkindern und Hausfrau, gesagt: «Lisa, wenn du Kinder hast, dann gehst du nicht arbeiten, gell? Das gehört sich nicht.» Ihr Mann helfe ihr schon so viel im Haushalt, wenn er nach Hause komme, kümmere er sich manchmal um das Essen, helfe bei der Wäsche mit. «Und das neben seinem 100-Prozent-Pensum!» Mehr könne man doch nicht erwarten. Und klar, kam da auch der obligatorische Satz: Wenn man nicht bereit sei, seine Kinder selbst zu betreuen, solle man lieber keine haben.

Stillen kann nur die Mutter

Es geht noch weiter: Vor einer Woche hat sich die 26-jährige Freundin eines Freunds gegen die Initiative für einen Vaterschaftsurlaub von vier Wochen ausgesprochen. Grund: «Das ist unnötig, weil nur Mütter stillen können.» Der Mann solle lieber arbeiten gehen. Ernsthaft? Abgesehen von der absolut sinnfreien Argumentation: Was ist mit einer fairen Aufteilung der Betreuungsarbeit des Kindes, das schliesslich von beiden Elternteilen auf die Welt gebracht wurde?

Anscheinend sind sie mit ihren Ansichten nicht allein. Gemäss der eidgenössischen Jugendbefragung von 2017** sind die Jungen von heute so konservativ wie ihre Eltern und Grosseltern: «Bei der Familiengestaltung sind herkömmliche Familien- und Geschlechtermodelle nach wie vor hoch im Kurs. Man möchte heiraten und Kinder haben. Der Mann wird ungebrochen in der Ernährerrolle gesehen, während die Frau sich um die Familie kümmern sollte.»

Um etwas zu ändern, müssen wir bei uns selbst beginnen

Der Weg zur Gleichstellung ist noch ein weiter, die Bereitschaft, diesen zu gehen und dafür zu kämpfen, hat aber abgenommen. Zu bequem, zu einfach ist es doch, alles beim Alten zu lassen. Meine Generation darf sich nicht ausruhen, damit wir diesbezüglich weiterkommen.

Anfangen müssen wir Frauen bei uns selbst: Warum unterstützen wir uns nicht, sondern versuchen, andere Lebensmodelle zu untergraben, sexuelle Belästigung zu verharmlosen, ja, die Schuld sogar dem Opfer zuzuschieben?

Hören wir auf, uns selbst im Weg zu stehen. Sondern unterstützen wir einander gegenseitig, den letzten mühsahmen Kilometer bis zur Gleichberechtigung gemeinsam zu gehen.


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