Über einschlägige Online-Angebote kommen Konsumenten sehr einfach zu Anabolika. Trotz bekannter Risiken fehlen aktuelle Studien zum verbotenen Dopingmittel. Ein neuer Film will aufklären.
Nicht nur im Spitzensport wird gespritzt.
Dicke Post für einen Winterthurer Zahntechniker: Der 23-Jährige hatte versucht, mehrere Tausend Tabletten sogenannter Anabolika in seinem BMW über die Grenze zu schmuggeln. Er hatte sie offenbar in der Schweiz weiterverkaufen wollen. Die Grenzwache in Thayngen stoppte ihn aber, die Staatsanwaltschaft sprach ihn später wegen Förderung von Doping schuldig und brummte ihm eine Geldstrafe von über 10'000 Franken auf.
Anabolika sind Hormonpräparate, die sich vor allem Bodybuilder spritzen, weil damit schnell Muskeln aufgebaut werden können. Mit Ausnahme des Eigengebrauchs sind sie in der Schweiz aber verboten. Denn Anabolika sind gefährlich: Nimmt man die Hormone über längere Zeit, steigt das Risiko für Lebererkrankungen, Schlaganfälle oder Herzinfarkte massiv.
Vor ein paar Jahren schockierte der Fall eines jungen Bodybuilders aus dem Kanton Jura, der mit 23 Jahren an einem Herzinfarkt starb. Neben seinem leblosen Körper fand die Polizei Anabolika-Präparate.
Statussymbol «guter Body»
Die Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs (ZFPS) hat die Risiken des Anabolikakonsums nun zu einem ihrer Schwerpunkte ernannt. Zum Start des neuen Schuljahrs konzipierten sie einen halbstündigen Film, in dem Anabolika-Konsumierende, ein Kardiologe sowie ein Psychiater über die Substanz aufklären. Damit wollen sie Berufs- und Mittelschüler über die Risiken des Mittels informieren und eine Debatte über das heutige Bild vom idealen Körper anstossen.
«Über Medienberichte, persönliche Kontakte und die Zahl der beschlagnahmten Sendungen am Zoll ist uns aufgefallen, dass Anabolikakonsum im Freizeitsport aktuell ist», sagt Projektleiterin Laura Jucker. «Ein guter Body mit definierten Muskeln ist zu einer Art Statussymbol geworden.» Das zeige auch der unter Jugendlichen als Schimpfwort benutzte Ausdruck «Lauch», mit dem ein magerer Mann bezeichnet wird. «Jemand, der früher als durchschnittlich trainiert galt, ist heute ein Lauch.» Und für Frauen gelte «strong is the new skinny».
Aktuelle Zahlen fehlen
Obwohl sich Experten über die Risiken von Anabolika einig sind, ist die Datenlage in der Schweiz zum Thema äusserst dünn. Aktuelle Studien zum Anabolika-Konsum fehlen gänzlich. Eine der wenigen Studien überhaupt stammt aus Deutschland und beruht auf einer landesweiten, anonymen Umfrage in deutschen Fitnessstudios. Sie wurde Ende der Neunziger Jahre durchgeführt. Laut dieser konsumieren 22 Prozent der Männer und 8 Prozent der Frauen leistungssteigernde Mittel. Die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu geniessen, trotzdem stützt die Umfrage den Verdacht, dass auch unter Hobbysportlern gerne zur Chemie gegriffen wird.
Die einzigen Zahlen für die Schweiz stammen vom Zoll, der die Anzahl Pakete mit verbotenen Dopingmitteln der Stiftung Antidoping meldet. In den letzten Jahren hat dieser jährlich zwischen 400 und 600 Paketen gemeldet. Die Zollbeamten kontrollierten grundsätzlich stichprobenartig, wie die Zollverwaltung mitteilt. Welcher Zoll bei Schmugglern wie beliebt ist, wird nicht erhoben.
Obwohl ein Grossteil der eingezogenen Mittel Anabolika waren, kann Antidoping keine Zahlen zum Konsum oder Missbrauch von Anabolika liefern. Eine Befragung von Anabolika-Konsumenten, die die nationale Stiftung laut dem Bundesrat 2015 durchgeführt haben soll, ist dem heutigen Direktor nicht bekannt. «Die ZFPS kann sich leider nicht auf eine gesicherte Datenlage stützen», sagt Jucker. Eine Schätzung verschiedener EU-Länder gehe davon aus, dass in Europa jährlich für mehrere Hundert Millionen Euro Anabolika über den Schwarzmarkt bezogen werden. «Wir würden eine aktuelle Studie zum Konsum und zur Verbreitung sehr begrüssen.»
Trotz fehlender Datenlage befindet das Bundesamt für Gesundheit in einer Stellungnahme, dass «der Körperkult bei Jugendlichen immer wichtiger werde» und die körperliche Leistungssteigerung im Visier des Amts sei. Derzeit gelte es, die Datenlage zu verbessern. Die Stiftung Sucht Schweiz vermeldete bereits 2012 den Trend zur Leistungsoptimierung mit Medikamenten und anderen Mitteln.
Klar ist, dass es sehr einfach ist, an die verbotenen Mittel zu kommen. Das bestätigt auch ein ehemaliger Konsument: «Ich sprach einfach den Typen im Fitness an, der am meisten Muskeln hatte.»
Der Online-Handel mit Präparaten boomt. Ein Sprecher der Zollverwaltung bestätigt, dass die immer grössere Paket-Flut eine Herausforderung für das Personal am Zoll sei. Manchmal müssen die Pakete aber gar nicht über die Grenze: Über die professionell gestaltete Webseite anabol4you.de können ganz einfach verschiedenste Testosteron-Derivate bestellt werden. Diese werden direkt aus einem Depot in der Schweiz versendet, wie der deutsche Anbieter auf der Seite mitteilt. Somit passierten keine Pakete den Zoll und kämen bedenkenlos beim Empfänger an.
Keine griffigen Gesetze
In der Schweiz ist das Doping-Gesetz weniger streng als in den Nachbarländern. In Österreich kann Sportbetrug strafrechtlich verfolgt werden, Deutschland hat seit drei Jahren ein Anti-Doping-Gesetz. Mit dem neuen Sportförderungsgesetz von 2012 wurden die Strafbestimmungen zwar verschärft, aber weil der Eigengebrauch weiterhin erlaubt ist (ausser für lizenzierte Sportler), müssen Käufer in den meisten Fällen nur mit einem verwaltungsrechtlichen Verfahren rechnen. Die Gebühren dürfen höchstens kostendeckend sein. Das erschwert den Kampf gegen Doping in der Schweiz.
Die Politik will diese Praxis ändern. Bereits im März 2018 reichte der FDP-Nationalrat Jacques Bourgeois (Waadt) eine Interpellation ein. Darin fordert er den Bundesrat auf, zu prüfen, welche Möglichkeiten dieser sehe, den Kampf gegen Doping zu verstärken.
Der Bundesrat zeigte wenig Verständnis für sein Anliegen. Er ist der Auffassung, dass das bestehende Recht ausreicht, um Doping in der Schweiz effizient zu bekämpfen. Er findet sogar, dass die schweizerische Gesetzgebung betreffend Doping international Vorbildcharakter habe und eine effiziente Bekämpfung von Doping erlaube.
«Ich fühlte mich wie der Allergeilste» Er spritzte sich Testosteron, bis es in seiner Brust zu hämmern anfing. Ein ehemaliger Anabolika-Konsument erzählt.
«Vor fünf Jahren habe ich eine Zeit lang Anabolika konsumiert. Da war ich 20 Jahre alt, habe hobbymässig Bodybuilding betrieben. Ich war zufrieden mit meinem Körper, wurde aber neugierig, als ich von den Wirkungen von Anabolika hörte: Da wachsen dir einfach Muskeln, richtig toll.
Ich sprach also einfach den Typen im Fitnesscenter an, der am meisten Muskeln hatte. «Stoffer» wie sie sich nennen, erkennst du schnell: Sie sind viel zu breit für ihre Grösse, richtig überproportional und bei langjährigen Konsumenten ist die Haut im Nackenbereich rötlich gefärbt. Dort wirkt das Testosteron am stärksten. Wenn du Zeit im Fitness verbringst, kommst du schnell mit «Stoffern» ins Gespräch und redest automatisch über Anabolika. Ich habe den einen zuerst alles Mögliche dazu gefragt und er hat mir dann angeboten, mir für einen guten Preis Ampullen zu besorgen.
Während drei Monaten spritzte ich mir also alle fünf Tage zwei verschiedene Testosteron-Derivate. Damit Anabolika überhaupt eine Wirkung erzielen, musst du sie mindestens drei Monate nehmen. Danach pausierte ich sie für vier Monate, und das ist die einzige Regel, die man wirklich einhalten muss: Die Pause zwischen den sogenannten Kuren muss länger sein als die Kuren selbst. Nach der Pause begann ich mit einer zweiten Kur. Spritzte mir wieder alle drei bis fünf Tage Testosteron-Derivate, nun einfach in höherer Dosis und mit einer veränderten Zusammensetzung. Dazu habe ich fünf bis zehnmal in der Woche immer eineinhalb Stunden trainiert. Das war noch vor meinem Studium, ich hatte Zeit. Und wenn man «Testo» nimmt, kannst du auch immer trainieren.
Ich war nie ein Freund von Spritzen, auch während meinem Medizinstudium nicht, aber die Veränderungen waren wirklich beeindruckend: Ich habe sehr schnell Muskeln bekommen, konnte es im Spiegel sehen, der Fettanteil ging deutlich zurück. Während der ersten Kur entwickelte ich auch ein extremes Männlichkeitsgefühl. Ich fühlte mich, als wäre ich der Oberhengst, der Geilste, der Stärkste. Testosteron-geladen halt.
Gleichzeitig merkte ich, dass ich ständig Gefühlsschwankungen hatte. Alle Gefühle waren verstärkt. Einmal fiel mir beispielsweise ein Schlüssel aus der Hand, als ich mein Auto aufschliessen wollte und ich bin ausgerastet - alles nur wegen einem Schlüssel! Bald merkte ich, dass mein Rücken mit Pickeln übersät war und mir dort mehr Haare wuchsen. Während meine Libido bei der ersten Kur sehr stark war, hatte ich bei der zweiten Kur manchmal wochenlang einfach keine Lust.
In der zweiten Kur habe ich auch viel mehr gegessen und zugenommen. Ganz schlimm war aber, dass es in meiner Brust richtig gehämmert hat. Ich bin dann am Ende der zweiten Kur zum Arzt gegangen, der mass einen Puls von 115. Normal wären 60 bis 80 Schläge pro Minute. Zudem war mein Blutdruck viel zu hoch, meine Leber- und Nierenwerte schlecht. Der Arzt sagte, ich müsse die Kur sofort abbrechen, was ich dann auch getan habe.
Meine Muskeln gingen dann relativ schnell zurück, ich wurde auch fauler. Wenn du «Testo» einmal genommen hast, machst du so krasse Fortschritte, die kannst du normal nicht erreichen. Während meiner «Stoffer»-Zeit habe ich Anabolika auch ab und zu weiterverkauft. So wie ich es erlebt habe, dopen viele im Fitnessstudio, aber nur wenige verkaufen es im grossen Stil. Diejenigen, die das tun, kennen meistens jemanden aus dem Balkan. Dort kann man Anabolika teilweise legal in der Apotheke kaufen. Gewisse bestellen ihre Ampullen in Thailand oder den USA und lassen es sich in Paketen ohne Absendername zusenden. Falls ein Päckchen am Zoll abgefangen wird, kannst du einfach sagen, dass du es nicht bestellt hast, dann bist du fein raus. In China kann man die einzelnen Stoffe kaufen und dann zuhause zusammenmischen.
Mich schockiert, wie viele Anabolika einfach spritzen, ohne sich vorher ausführlich darüber informiert zu haben. Ein gewisses medizinisches Wissen sollte man schon haben. Ich selbst konnte meine Neugier befriedigen. Heute bin ich nicht mehr täglich, sondern noch zwei- oder dreimal die Woche im Fitness. Das sieht man dann leider schon. Mit 25 nimmst du einfacher zu und langsamer ab. Ich bin jetzt etwas breiter gebaut, muss aber sagen, dass mir mein Bauch gefällt.»