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  • AutorenbildLisa Aeschlimann

«Viele Migranten haben ein falsches Bild von der Polizei»


Jan Kurt, der Brückenbauer der Stadtpolizei, zur Gülen-Problematik, den Vorgängen in der An’Nur-Moschee und welche Migrantengruppe ihm momentan Sorge bereitet.
«Es braucht Jahre, bis gewisse Beziehungen bestehen», sagt Brückenbauer Jan Kurt. Bild: Enzo Lopardo

Als Brückenbauer stehen Sie in Kontakt mit den Winterthurer Gülen-Anhängern, die sich wegen Bedrohungen ihrer Landsleute aus der Öffentlichkeit zurückziehen, wie der«Landbote» berichtete. Wie schätzen Sie deren Lage ein? Wir hatten einzelne Meldungen, dass Bekannte von Gülen-Anhängern in der Türkei zurückgehalten werden. Eine Gülen-nahe Person kam auf uns zu, weil Unbekannte Gegenstände in ihrem Geschäft beschädigt hatten und sie dahinter Erdogan-treue Türken vermutete. In solchen Fällen nehmen wir Ermittlungen auf, das politische Problem können wir damit aber wohl nicht lösen.

Warum? Die Gülen-Problematik muss auf internationaler Ebene abgehandelt werden. Als Brückenbauer leiten wir Meldungen zwar weiter, haben aber nur einen sehr bedingten Einfluss auf die Situation.

Dann sind Sie als Brückenbauer für die Gülen-Anhänger primär eine erste Anlaufstelle? Ja, wir sitzen zusammen und besprechen, was sie aktuell beschäftigt, ob es Probleme gibt. Ist das der Fall, versuchen wir, beratend zur Seite zu stehen oder an die entsprechenden Stellen zu verweisen. Unsere Aufgabe ist es aber, den Kontakt zur ganzen Migrationsbevölkerung zu knüpfen und aufrechtzuerhalten. Die Gülen-Anhänger haben in diesem Sinne keine Spezialbetreuung.

Und wenn Ihnen gemeldet wird, dass Sie von Landsleuten verbotenerweise bespitzelt werden? Sobald uns strafrechtlich relevante Dinge gemeldet werden, leiten wir diese weiter oder nehmen mit der zuständigen Behörde Rücksprache.

Was tun Sie, wenn jemand mit extremistischen Ideen sympathisiert, aber nicht straffällig ist? In erster Linie ist es wichtig, dass wir davon erfahren. Wirversuchen einzuschätzen, ob wir mit Prävention Schlimmeres verhindern können und ob weitere Massnahmen ergriffen werden müssen. Oft reicht ein Gespräch, um den Prozess, der zurück auf die richtige Bahn führt, zu starten.

Wie viele solche Gespräche haben Sie geführt? Dazu führen wir keine Statistik.

Bis zu welchem Punkt ist ­Prävention noch sinnvoll? Im Gespräch eruieren wir, welches Gefahrenpotenzial eine Person hat. Zeigt sie Anzeichen, auf die man nicht mehr mit präventiven Massnahmen reagieren kann? Muss man sie näher beobachten?

Diese «Gefährderansprachen» führen aber nicht Sie, sondern der Gewaltschutz. Handelt es sich lediglich um einen vagen Verdacht, kann ich die Person auch konkret darauf ansprechen. Vielleicht gibt es ganz plausible Gründe für ihr Verhalten.

Es geht also um ein niederschwelliges Angebot. Genau. Es ist wichtig, dass die Leute wissen, an wen sie sich wenden müssen. Vor allem muss ein Vertrauen da sein, dass sie sich überhaupt an mich wenden.

Die Vorfälle um die An’Nur-Moschee haben viel Aufsehen erregt. Wie haben Sie die Stimmung damals erlebt? Es gab eine grosse Verunsicherung. Meine Stelle wurde im Januar 2017 geschaffen, da war die Schliessung der Moschee praktisch vollzogen. Es gab noch ein Treffen mit dem damaligen Vorstand, aber wir waren nicht mehr direkt in den Prozess involviert.

Und seit die Moschee geschlossen ist? Soviel wir als Brückenbauer mitbekommen, ist Ruhe eingekehrt. Wir erfahren nur am Rande, was läuft, wir müssen auch nicht alles wissen. Denn wir sind mit diesen Vereinen in Kontakt, und da kann es auch vorkommen, dass zwielichtige Personen darunter sind.

Wissen Sie, was mit der Salafisten-Szene in Winterthur passiert ist? Die Nachrichtendienste gehen diesen Entwicklungen nach. Wir werden dann involviert, wenn es sicherheitsrelevante Vorkommnisse gibt.

In einem früheren Interview sahen Sie keine Gefahr, dass sich in der Moschee eine Parallelgesellschaft bilde. Nun ist genau das passiert, auch den Gülen-Anhängern droht diese Entwicklung. War Ihre Einschätzung naiv? Die Gülen-Anhänger haben aufgrund der politischen Situation in der Türkei Probleme, das ist für mich keine Parallelgesellschaft.

Aber ihnen wurde verboten, in türkische Moscheen zu gehen. Davon habe ich keine Kenntnisse. Wir sind mit sämtlichen Vorständen der Moscheen in Kontakt und so wie sie es uns mitteilen, dürfen alle, die den islamischen Glauben leben, dort beten. Wie das tatsächlich gelebt wird, weiss ich aber nicht.

Sie müssen darauf vertrauen, dass Ihnen die Wahrheit gesagt wird. Ja. Es ist schlussendlich unser Ziel, dass man durch regelmässigen Kontakt eine Vertrauensbasis herstellen und einschätzen kann: Reden jetzt die Leute offen mit mir?

Was heisst «regelmässig»? Wir treffen uns sicher zwei- bis dreimal jährlich mit den Vorständen der Moscheen, sie zeigen uns ihre Räumlichkeiten, welche Schwerpunkte sie haben und ob es Probleme gibt. Manchmal schaue ich spontan beim Freitagsgebet vorbei oder werde zum Fastenbrechen eingeladen. Wenn wir in solchen Situationen Hand bieten können, wächst mit der Zeit das Vertrauen.

Dann sind Sie nach zwei Jahren erst am Anfang Ihrer Arbeit. Es war von Beginn weg klar, dass die Aufgabe langfristig ausgelegt ist. Es braucht Jahre, bis gewisse Beziehungen bestehen, sodass man auch Ergebnisse zeigen kann. Es ist vergleichbar mit der Quartierpolizei: Dort dauert es fünf bis zehn Jahre, bis man im Quartier verankert ist.

Jan Kurt war vor seiner Aufgabe als Brückenbauer elf Jahre Quartierpolizist in Töss. Foto: Enzo Lopardo

Einer Ihrer momentanen Schwerpunkte ist Eritrea. Weshalb? Wir haben in letzter Zeit vermehrt Meldungen a us der Bevölkerung erhalten. Vor allem in den Sommermonaten kam es vor, dass junge Eritreer sich im Park aufhielten. Dass es dabei lauter wurde und auch Alkohol konsumiert wurde, hat gewisse Leute gestört. Wir haben uns gefragt, was wir tun können, damit dies nicht zu einem Problem wird.

Darum haben Sie vor kurzem einen Informationsabend für eritreische Migrantinnen und Migranten veranstaltet. Zwölf soziale Institutionen haben dort ihre Gratisangebote vorgestellt, vom Jugendhaus über Kochvereine für Migranten. Das Ziel war, ihnen mehr Strukturen zu bieten. Ausserdem konnten sie uns Fragen stellen, beispielsweise: Wie finde ich einfacher eine Wohnung? Wieso werde ich so oft kontrolliert, aber auch: Wer hilft mir bei den Hausaufgaben?

Wie viele kamen an die Veranstaltung? Es waren circa 50 Eritreerinnen und Eritreer dort.

Was war Ihr Eindruck? Das Feedback der Institutionen war positiv. Die Migrantinnen und Migranten bedankten sich und meinten, es sei schön, dass man ihnen zugehört habe, auch wenn wir nicht alle Fragen beantworten konnten. Ich bin positiv eingestellt, dass das eine oder andere Angebot genutzt wird.

Sind weitere Veranstaltungen in diese Richtung geplant? Wir werden diesen Anlass zuerst auswerten und dann weiterschauen. Das Ziel ist aber, den Fokus wieder für alle Migranten zu öffnen. Die Eritreer haben jetzt unsere Kontaktdaten.

Ein weiteres Ziel von Ihnen ist es, das Vertrauen der Migranten in die Polizei zu erhöhen. Warum ist dieses Vertrauen überhaupt so tief? Wir gehen oft in Deutschkurse für Migranten, um die Polizei vorzustellen. Unsere Einstiegsfrage ist jeweils: ‹Wenn Sie Polizei hören, was denken Sie?› Die Kursbesucher erzählen dann oft von negativen Erlebnissen mit der Polizei in ihren Herkunftsländern: Sie seien geschlagen worden, die Polizisten wären korrupt, aggressiv und betrunken.

Betrunken? Das hören wir ab und zu. Darum ist es wichtig zu sagen, wie es in der Schweiz läuft und auch, wie man reagieren kann, wenn es einmal nicht wie gewünscht funktioniert.

Konnten Sie dieses Vertrauen in den letzten zwei Jahren nun erhöhen? Ich kann das nur schwer messen, am ehesten noch an den Rückmeldungen, die ich bekomme. Zum Teil ruft plötzlich jemand an, kommt auf mich zu mit einem Problem. Manchmal betrifft es zwar nicht die Polizei, aber dann vermittle ich weiter. Das zeigt mir, dass es funktioniert.

Sie sind meist in zivil unterwegs, auch damit Sie mehr als Vermittler, denn als Kontrollinstanz wahrgenommen werden. Kommt dieses Bild an? Viele Migranten haben weiterhin ein falsches Bild von der Schweizer Polizei. Es kommt vor, dass wir in Deutschkurse gehen und dann nur die Hälfte der Klasse antreffen - weil die Lehrerin am Vortag gesagt hat, dass die Polizei morgen komme. Das zeigt uns, wie wichtig es ist, dass man dann genau hingeht und hofft, dass die Anwesenden ein besseres Bild ihren Kameraden weitergeben.

Sie sind auch für die Sensibilisierung Ihrer Kollegen zuständig. In einem Referat meinten Sie, dass die Akzeptanz Ihrer Tätigkeit intern eine Herausforderung sei. Warum? Weil es eine Aufgabe ist, die man bei der Polizei nicht kannte. Hatte man als Polizist mit der Migrationsbevölkerung zu tun, war es meist im negativen Kontext. Wenn man dies jetzt von der anderen Seite angeht, stösst das nicht bei allen auf offene Türen.

Welche Vorbehalte gibt es? Viele können sich noch kein Bild über meine Tätigkeit machen. Angehende Polizisten lernen interkulturelle Kommunikation seit Kurzem bereits in der Schule, aber es braucht generell mehr Aufklärungsarbeit. Ich habe meine Stelle schon einmal vorgestellt und im Intranet schalte ich regelmässig neue ‹Brückenbauer-Infos› auf. Aber es braucht Zeit. Das Ziel wäre es, das ganze Korps zu schulen.

Wie die jungen Polizisten sind auch Sie in interkultureller Kommunikation ausgebildet. Brauchen Sie die Polizistenausbildung überhaupt, um als Brückenbauer tätig zu sein? Für einen Moscheebesuch am Freitagabend brauche ich keine Polizeiausbildung. Aber wir sind immer noch Brückenbauer der Polizei und repräsentieren diese, deshalb müssen wir sehr genau wissen, was die polizeiliche Tätigkeit beinhaltet. Zudem ist es glaubwürdiger, als wenn ein Sozialarbeiter sagen würde, wenn Sie ein polizeiliches Problem haben, kommen Sie zu mir.

 
Brückenbauer hat seit letztem Jahr auch eine Kollegin

Jan Kurt (47) war elf Jahre Quartierpolizist in Töss, bevor er Brückenbauer wurde. Seine neu geschaffene Stelle war eine Reaktion auf die Vorgänge in der An’Nur-Moschee in Hegi. Gleichzeitig gründete die Stadt auch eine Extremismus-Fachstelle, die ursprünglich auf Ende 2018 befristet war, aber dann doch definitiv weitergeführt werden konnte. Seit Mitte 2018 ist mit Rukmini Santaman auch eine weibliche Brückenbauerin im Einsatz. Die Stelle war lange ausgeschrieben. Eine Frau brauche es, weil «es als Mann aus kulturellen Gründen schwierig ist, bei Musliminnen den Zugang zu finden», sagt Kurt. Ihr Fokus liege dementsprechend auf der weiblichen Migrationsbevölkerung. So gehe sie aktiv auf Frauengruppen zu, besuche Veranstaltungen wie das Frauenfest in Töss. Die Kantonspolizei Zürich beschäftigt insgesamt 16 Brückenbauer, darunter drei Frauen. (lia)

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