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  • AutorenbildLisa Aeschlimann

Gesetze brechen für den Klimaschutz

Schweizer Mitglieder von Extinction Rebellion machen mit immer radikaleren Aktionen auf sich aufmerksam. Wer sind diese Leute und was wollen sie?


Lisa Aeschlimann, Claudia Blumer und Stephanie Jungo

Starke Bilder: Aktivistinnen protestieren an der Klimademo in Bern. Foto: Fabian Biasio


«Make Love, not CO2» – die Klimademonstration vom Samstag in Bern erinnerte an eine Friedenskundgebung. Pace-Fahnen, Rastafrisuren, Familien und ältere Leute. Keine Gewalt, dazu mahnten die Organisatoren eindringlich.


Und tatsächlich: An der Demonstration – einer der grössten der Schweizer Geschichte – flogen keine Steine, selbst ein parkierter SUV, der den Weg versperrte, bekam nur Kleber ab. Die Berner Kantonspolizei bedankte sich auf Twitter bei den Organisatoren für die tatkräftige Hilfe.

Seit Dezember streiken Schülerinnen und Schüler fürs Klima, schwänzen freitags die Schule, marschieren durch die Städte, fordern «Klimanotstand jetzt», halten Uhren hoch, auf denen der Zeiger bei fünf vor zwölf steht. Die Demonstrationen, Proteste und Aktionen der Klimajugend sind friedlich, freundlich, ausdauernd.


Für gewisse Klimaschützer reicht diese Art von Protest aber nicht mehr: Sie fordern schnellere und härtere Massnahmen – und greifen ­dafür zu drastischeren Mitteln. Eine ­dieser radikaleren Gruppierungen ist Extinction Rebellion (XR), zu Deutsch: «Rebellion gegen das Aussterben».


Kunstblut auf dem Bundesplatz

In letzter Zeit haben sie mit spektakulären Aktionen für Aufmerksamkeit ­gesorgt. In Lausanne blockierten rund 200 von ihnen die Bessières-Brücke und legten so eine wichtige Verkehrsachse lahm. Im Juni vergossen Aktivisten in einer unbewilligten Aktion Kunstblut in der Nähe des Berner Bundesplatzes – «um die Politiker an ihren Schwur auf die Bundesverfassung zu erinnern», wie die Gruppe schrieb.


Und am 10. September färbten Mitglieder der Gruppe die Limmat in Zürich giftgrün. Zwar war die Substanz ungefährlich, trotzdem haben die Behörden Ermittlungen aufgenommen.


Aufmerksamkeit als kostbares Gut: Im September färbten Aktivisten die Limmat in Zürich giftgrün ein. Foto: Stapo ZH


Wer sind die Aktivisten, und was wollen sie? Vor einem Jahr in Grossbritannien gegründet, gilt XR als grösste Bewegung des zivilen Ungehorsams in der britischen Geschichte. Mittlerweile soll es in mehr als 60 Ländern Ableger geben. In ihrem Ursprungsland agieren sie extremer als in der Schweiz: Über Ostern kletterten Aktivisten im Londoner Stadtzentrum auf Züge und richteten so ein Verkehrschaos an. Über 1000 Aktivisten wurden festgenommen. Und erst vor zwei Wochen wollten Aktivisten der Gruppe «Heathrow Pause» den gleichnamigen Londoner Flughafen Heathrow mit Drohnen lahmlegen. Mit Roger Hallam war auch einer der Mitgründer von XR involviert. Die Polizei kam ihnen zuvor.

Nächste Aktionen sind schon geplant: Ab dem 7.Oktober planen die radikalen Umweltschützer, weltweit Innenstädte lahmzulegen. Zuerst Berlin, dann Paris, New York, Amsterdam und London. Unter dem Hashtag #rebelforlife rufen sie dazu auf, dem Aufstand zu folgen.


Auch in der Schweiz? Das lassen die Rebellen im Gespräch durchblicken. Konkreteres sagen sie nicht. Sicher ist aber: Sie gehen viel weiter als die Schweizer Klimajugendlichen. Ihr Ton ist rauer, ihre Forderungen extremer und ihre Aktionen radikaler. Ihre Haltung: Nicht Demos, sondern der zivile Ungehorsam führt zum Ziel. Ihre Ziele: Regierungen sollen «die Wahrheit über die tödliche Bedrohung durch die ökologische Krise offenlegen und alle Gesetze revidieren, die ihrer Bewältigung entgegenstehen». Die CO2-Emissionen sollen bis 2025 netto null betragen. Bürgerversammlungen sollen überwachen, ob die Ziele tatsächlich erreicht werden, und allenfalls Massnahmen ergreifen.


Die Aktivisten von Extinction Rebellion wollten im Juli den Flugverkehr am Flughafen Zürich unterbrechen. Video: YouTube/XR Zürich


«Bringt uns das jetzt weiter?»

Trotz aller Radikalität ist eines der obersten Gebote der «Rebellen», gewaltfrei zu bleiben. Verstösst jemand dagegen, wird er ausgeschlossen. «Gewalt würde die Bewegung diskreditieren», sagt Serge M.. Der 41-Jährige kämpft an vorderster Front fürs Klima, war auch an der Kunstblutaktion in Bern beteiligt.


Der alarmierende Bericht des Klimarats habe ihn schockiert. Nur XR, so ist er überzeugt, könne etwas ändern. Mit M. kämpfen Familien, Studentinnen und Senioren für die sofortige Rettung des Klimas. 13 Lokalgruppen existieren in der Schweiz, der harte Kern umfasst laut M. etwa 200 Mitglieder.


Auch an der Grossdemonstration in Bern war der radikale Flügel zu sehen: Auf dem Bundesplatz war die Demonstration gesitteter, ruhiger, während im Umfeld von Schützenmatte und Reitschule das Klima rauer und die Musik lauter war. Hin und wieder sah man dort ein Plakat mit dem X im Kreis, das Wahrzeichen der Rebellion.


An die nationale Klimademo kamen so viele Klimaschützer wie nie zuvor:

Wie steht die Klimajugend zu den Aktivisten? Schadet der radikalere Flügel der breiten Klimabewegung mit seinen Störaktionen? Nein, sagt Jann Kessler von Klimastreik Schweiz. Zwischen XR und Fridays for Future bestehe eine gute Zusammenarbeit, man spreche sich vor Aktionen ab. «Wir teilen dieselben Werte, unterscheiden uns aber im Ansatz», sagt Kessler. Die Klimajugend versuche, möglichst alle anzusprechen, inklusiv zu sein. «Die Mitglieder von XR gehen da einen radikaleren Weg.» Obwohl ­radikal der falsche Ausdruck sei: «Radikal ist nicht XR. Radikal ist, wie schlimm es um unsere Welt steht und wie wenig dagegen gemacht wird.»


Immer radikalere Aktionen

Zu Diskussionen kam es trotzdem schon, bei einer gemeinsamen Aktion im Bundeshaus: Eine Gruppe störte Mitte September die Nationalratsdebatte, just als Verteidigungsministerin Viola Amherd zu einem Vorstoss Stellung nehmen wollte. Von der Zuschauer­tribüne aus sangen sie und rollten ein riesiges Transparent aus. «It’s the final countdown, 16 months left», stand da.


Zuvor hatten sie die Security-Gruppe ausgetrickst, indem sie sich als Chor ausgegeben hatten. «Viele fragten sich: Bringt uns das jetzt weiter? Wollen wir das, so kurz vor den Wahlen?», sagt Kessler.


Auch im Bundeshaus gab die gemeinsame Aktion zu reden. SP-Nationalrätin Mattea Meyer freute sich auf Twitter:


Aber der Mann vom Klimastreik Schweiz weiss auch: Aufmerksamkeit ist ein kostbares Gut. Auch wenn die Demonstrationen immer wieder Hunderte und Tausende anlocken – es nutzt sich ab. Aufmerksamkeit, um das gehe es den XR-Aktivisten vor allem, sagt Mike Schäfer, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Zürich. «Das ist eine professionelle Gruppe, die weiss, wie Medien funktionieren.»


Sie suchten sich bewusst symbolträchtige Orte – Brücken, Flüsse, Flughäfen – aus und planten ihre Aktionen so, dass starke Bilder entstehen. Wie bei der Limmat-Aktion: giftgrünes Wasser, dazu Aktivisten, die sich als Leichen flussabwärts treiben liessen. «Da waren nicht mehr als ein paar Dutzend Leute beteiligt», sagt Schäfer. Mit wenig Aufwand erzielten sie einen maximalen Effekt.


Aber auch das nutze sich ab: «Um weiter Aufmerksamkeit zu erhalten, müssten sie sich immer radikalere ­Aktionen ausdenken.» Davon geht der Wissenschaftler aber nicht aus, weil die Aktivisten Gewalt in allen Varianten deutlich ablehnen.


Noch lange nicht am Ziel

Bei Politikern werfen die Aktionen von XR Fragen auf. GLP-Nationalrat Beat Flach sagt: «Mir ist nicht klar, was sie uns mit Aktionen wie der grünen Limmat mitteilen wollen.» FDP-Ständerat Damian Müller stört, dass die Aktivisten den Politikern vorwerfen, nichts fürs Klima zu unternehmen. Das neue CO2-Gesetz sei ein Meilenstein in der Klimapolitik. Diese Errungenschaft sei bei der Klimabewegung aber kaum auf Resonanz gestossen. Für Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, ist man auf politischer Ebene betreffend Klima noch lange nicht am Ziel. Sie befürchtet, dass der Nationalrat das neue CO2-Gesetz wieder abschwächt. «Darum muss der Druck bestehen bleiben. Friedliche Aktionen von XR bringen die dazu nötige Aufmerksamkeit.»


«Die Klimajugend hat mehr erreicht, als ich erwartete», sagt Kommunikationswissenschaftler Schäfer. «Sie ist aber noch lange nicht am Ziel.» Die grosse Herausforderung für die Aktivisten und Fridays for Future wird sein, ihre Forderungen in die Politik zu übersetzen. Die grosse Bewährungsprobe steht noch an. In knapp drei Wochen sind Wahlen.


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