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  • AutorenbildLisa Aeschlimann

Mord soll nie verjähren

Was, wenn der bis heute ungelöste Kristallhöhlenmord dank Profiler-Hinweisen oder DNA-Spuren aufgeklärt wird? Der Täter könnte nicht mehr bestraft werden.


Kristallhöhlenmord: An dieser Kreuzung wurden Karin (15) und Brigitte (17) 1982 das

letzte Mal lebend gesehen. Foto: Tom Egli


Es war gegen Mittag, als ein Autofahrer die beiden Freundinnen Karin (15) und Brigitte (17) das letzte Mal sah. Sie waren unterwegs auf einer dreitägigen Velotour durch die Ostschweiz. An einer Kreuzung beim Weiler Kobelwies hielten sie an, um die Wegweiser zu studieren – einer davon zeigte den Weg zur Kristallhöhle. Neun Wochen später stiess ein Wanderer unterhalb der Höhle auf ihre Leichen. Das war 1982.


Der Mord an den beiden Mädchen, eines der schlimmsten Gewaltver­brechen der Ostschweiz, ist bis heute ungeklärt. Die St. Galler Behörden haben den Fall 2017 abgeschlossen und alle Beweismittel vernichtet. Denn Mord verjährt in der Schweiz nach 30 Jahren – das war beim Kristallhöhlenmord ­bereits 2012 der Fall. Selbst wenn der Täter gefasst würde, könnte er heute nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden.

Das stört SVP-Nationalrat Mike Egger aus Berneck SG, das nur wenige Kilometer von der Kristallhöhle entfernt ist. Der 27-jährige Politiker hat mit Kriminalpolizisten über den Mord gesprochen und erfahren, wie es ist, wenn Ermittler Angehörigen sagen müssen, dass sie nichts mehr tun können. Er hat deswegen eine Standesinitiative angestossen, die fordert, dass die Verjährungsfrist für lebenslange Strafen aufgehoben wird. Vom Regierungsrat abgelehnt, aber vom Kantonsrat gutgeheissen, liegt sie momentan zur Prüfung bei der zuständigen Kommission und soll im Frühjahr 2020 in den Rat kommen.

«Mord», sagt Egger, «ist eine grausame Straftat. Es kann nicht sein, dass das ohne Folgen bleibt.» Moderne technische Möglichkeiten, wie die DNA-Analyse, erlaubten heute, dass mehr Fälle gelöst und vermehrt weit zurückliegende Taten aufgeklärt werden könnten. «Das Gesetz ist nicht mehr zeitgemäss.»

Nur wenige Taten unverjährbar

Ständerat und Strafrechtler Daniel Jositsch (SP, ZH) unterstützt die Idee der Standesinitiative. «Der Gedanke hinter der Verjährung, dass die Zeit alle Wunden heilt, ist vielleicht beim gestohlenen Velo der Fall, nicht aber bei einem Mord», sagt er. Dank neuen technischen Mitteln sei eine Beweisführung unter Umständen auch nach vielen Jahren noch möglich. Beim Mordfall von Seewen SO beispielsweise wurde die Tatwaffe erst 20 Jahre später gefunden. Und manchmal könnten mithilfe neuer Methoden sogar Fehlurteile korrigiert werden: «Der Kindermörder Werner Ferrari beispielsweise wurde nach 18 Jahren dank neuer technischer Möglichkeiten von einem Mord freigesprochen.»

Per Zufall darauf gestossen: Die Tatwaffe im Fall Seewen. Foto: Keystone

In der Schweiz sind nur ganz wenige Verbrechen unverjährbar, darunter fallen Völkermord, Kriegsverbrechen und seit kurzem auch sexuelle Handlungen mit Kindern unter zwölf Jahren. Letzteres wurde 2008 mit einer Volksinitiative angenommen. Die Verjährung ist Teil der meisten Rechtsordnungen. Das Prinzip dahinter beruht einerseits auf dem Recht auf Vergessen und Vergeben: Je weiter eine Tat zurückliegt, desto kleiner wird das Bedürfnis der Gesellschaft, diese strafrechtlich aufzuarbeiten. Der Täter kann sich mit der Zeit verändern. Zudem wird die Beweisführung schwieriger, je länger die Tat her ist. Zeugenaussagen sind nach über 30 Jahren kaum noch brauchbar.

Bereits vor drei Jahren forderte SVP-Nationalrat Alfred Heer (ZH) in einer Motion, die Verjährungsfristen für lebenslange Strafen abzuschaffen. Der Bundesrat lehnte das Begehren ab. Er will stattdessen den Strafverfolgern mehr Möglichkeiten bei der DNA-Auswertung geben. Wenn heute an einem Tatort DNA gefunden wird, dürfen Ermittler daraus nur das Geschlecht bestimmen und das Erbgut mit allfälligen Einträgen in der DNA-Profil-Datenbank abgleichen. Neu will der Bundesrat die sogenannte ­Phänotypisierung erlauben – die Ermittler dürfen dann DNA-Spuren auf Haar-, Haut- und Augenfarbe sowie aufs Alter und auf die Herkunft des Täters auswerten. Mit der Herkunft könnte die Polizei in Zukunft etwa Osteuropäer oder Afrikaner zur Fahndung ausschreiben.

Der Bundesrat hat den entsprechenden Gesetzesentwurf Ende August in die Vernehmlassung geschickt. Anstoss dafür war eine Motion von FDP-Nationalrat Albert Vitali (LU), die Ende 2016 angenommen worden war. Die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) sagte in der Diskussion: «Der Bundesrat ist der Ansicht, dass eine ­Änderung wie diese zielführender ist als eine Verlängerung der Verjährungs­fristen, die mehr symbolisch ist.»

«DNA beweist keine Täterschaft»

Doch DNA-Analysen sind nicht immer das Wundermittel, als das sie gerne angepriesen werden. «Das Problem ist, dass die DNA noch keine Täterschaft beweist», sagt der emeritierte Strafrechtsprofessor Martin Killias. Ein besonders tragisches Beispiel ist der Fall von Brigitte Didier. Die 18-jährige Pharma­assistentin wurde im Dezember 1990 brutal vergewaltigt und mit zehn Messerstichen ermordet. Vom Täter fehlte zehn Jahre lang jede Spur. Mithilfe der DNA-Analyse, die in den 90ern grosse Fortschritte machte, gelang es, zwei verschiedene Spuren auf der Unterhose der Leiche zu identifizieren. Eine davon ergab einen Treffer: Sie stammte von einem damaligen Freund des Opfers. Obwohl dieser den Mord bestritt, war er fast ein Jahr lang in Untersuchungshaft. Erst als er ein heimliches Verhältnis mit dem Opfer zugab, wurde er freigelassen. Nach weiteren Tests konnte die Polizei schliesslich die zweite DNA-Probe zuordnen und den wahren Täter finden: einen Mann, der bereits wegen eines ­anderen Sexualdelikts in Haft sass.

«Der Fall zeigt, dass nach Jahrzehnten vielleicht noch eine Spur da ist, aber man diese kaum mehr einordnen kann», sagt Killias. Ein faires Verfahren sei nach sehr langer Zeit fast unmöglich: «Man kann einen Beschuldigten nur sehr schwer verteidigen.»

Wurde für einen Mord zu viel verurteilt: Kindermörder Werner Ferrari. Foto: Keystone

Die Motion von Nationalrat Heer hatte vor drei Jahren keine Chance im Parlament. Ob die Chancen für die Standesinitiative besser sind, will Egger nicht einschätzen. Das Parlament wird sich aber wohl weiter damit beschäftigen müssen: «Sollte die Standesinitiative abgelehnt werden, werde ich das Anliegen in der nächsten Legislatur über eine Motion direkt einreichen.»

Im Fall des Kristallhöhlenmords haben die Behörden die Ermittlungen eingestellt, nicht aber die Einwohner. Ende Juni organisierte die Interessengemeinschaft (IG) Kristallhöhlenmord in Oberriet SG eine Veranstaltung. Es kamen über 200 Interessierte – mehr, als es Platz gab. Nationalrat Egger hielt eine Rede, ein deutscher Profiler lieferte neue Erkenntnisse: Die Steinplatte, unter der die Leiche von Brigitte lag, soll ein Vielfaches gewogen haben als bisher angenommen. Der Täter hatte bei seinem Unterfangen vermutlich Komplizen. Mitglieder der IG sind überzeugt, dass neue Methoden, die damals noch nicht bekannt waren, helfen könnten, den Fall zu lösen. Auch wenn der Täter nicht mehr verurteilt werden kann, vergessen können die Oberrieter den Mord nicht – bis er geklärt ist.

 
Mordwaffe nach 20 Jahren gefunden

Es gilt als grösstes ungeklärtes Verbrechen der neueren Schweizer Kriminal­geschichte. 1976 werden im Ferienhaus Waldeggli bei Seewen SO fünf Menschen mit einer Winchester-Replika erschossen. Erst vier Tage später entdeckt eine ­Passantin die Leichen. Das Motiv ist unklar. Die Polizei tappt 20 Jahre lang im Dunkeln, bis ein Handwerker in Olten per Zufall die Tatwaffe entdeckt. Sie ist hinter einer Küchenabdeckung versteckt, fein säuberlich in Plastik eingepackt. Dabei ist der Pass eines Carl Doser. Doser aber verschwand 1977 spurlos. Der Fall ist verjährt. (lia)

Dank DNA von einem Mord entlastet

Im Mai 1980 wird die 12-jährige Ruth Steinmann tot in einem Wald bei Würenlos AG gefunden. Die Polizei verdächtigt den mehrfachen Kindermörder Werner Ferrari, und obwohl er die Tat bestreitet, wird er 1995 verurteilt. Erst Jahre später gibt es dank Recherchen des Journalisten Peter Holenstein neue Hinweise: Das Schamhaar, das auf der Leiche gefunden wurde, stammt nicht von Ferrari. Das Urteil wird aufgehoben, der Fall neu beurteilt. Die Exhumierung des neuen Verdächtigen, eines Mannes, der 1983 Suizid begangen hatte, beweist Ferraris Unschuld. 2007 wird er freigesprochen. (lia)

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