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  • AutorenbildLisa Aeschlimann

Gewalt gegen Frauen: «Jeder Mord ist einer zu viel»

Vier Femizide in wenigen Monaten erschütterten die Schweiz. Doch wie kann der Staat Frauen besser schützen? Eine Opfer-Beraterin bezieht Stellung.


Die Idylle trügt: Im Juli ereignete sich in diesem Mehrfamilienhaus (rechts) in Affoltern am Albis ZH ein Mehrfachmord. Foto: Keystone

Diesen Sommer schockierten vier Morde an Frauen, die von ihren aktuellen oder ehemaligen Partnern getötet wurden. Jetzt will der Regierungsrat den Kampf gegen Gewalt an Frauen verstärken. Genau, die Opferberatungsstellen sollen mehr Geld bekommen, der Beitrag an die Frauenhäuser wird erhöht, die Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt wurde personell verstärkt. Unsere Beratungsstelle hat 300 zusätzliche Stellenprozente erhalten.


Reichen diese Massnahmen? Es ist ein guter erster Schritt. Ob das reicht, wird sich erst zeigen.


Fragen wirft vor allem der Mord eines Nordmazedoniers an seiner Frau Ende August in Dietikon ZH auf. Der mutmassliche Täter war der Polizei bekannt, der Gewaltschutz war involviert, es gab ein Rayonverbot. Warum konnte so etwas trotzdem passieren? Jeder Mord ist einer zu viel. Im Kanton Zürich gab es 2018 über 3000 Straftaten im Bereich häusliche Gewalt. Zum Glück kommt es also sehr selten zu solch schweren Gewalttaten. Will man jeden Mord verhindern, müsste man gewisse Menschen für immer ins Gefängnis einschliessen. Die Polizei investiert viel, um Femizide zu verhindern. Warum es in diesem Sommer und in diesem Fall zu diesen Taten kam, ist schwer zu sagen. Die Medien tragen aber auch eine Verantwortung.


Co-Geschäftsleiterin bei der Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft: Pia Allemann. Foto: Esther Michel


Wie meinen Sie das? Wenn Medien bei einem Femizid von einer Familientragödie schreiben, impliziert dies, dass die Frau mitverantwortlich ist. Das könnte gewisse Männer ermutigen, zur Tat zu schreiten.


Sozusagen ein Werther-Effekt bei Femiziden. Es gibt Annahmen, die diesen Schluss zulassen. Man kann es vergleichen mit Personen, die Massaker verüben. Die Gedanken sind schon da, aber je mehr Medien über solche Täter schreiben, desto eher können zukünftige Täter so ihre Tat rechtfertigen. Wenn dann steht «Der Mann hat keinen Sinn mehr gesehen» oder «Die Frau hat ihm die Kinder vorenthalten», können sich diese Männer schnell denken: «Ich bin auch in einer solchen Situation, also kann ich das auch tun.»


Warum bleibt es im einen Fall bei der Drohung, warum kommt es im anderen Fall zur Tat? Grundsätzlich gilt: Je konkreter eine Drohung ist, desto ernster muss man diese nehmen.


Zum Beispiel? Unkonkret ist beispielsweise «Du wirst schon merken, was passiert, wenn wir uns trennen». Konkreter ist hingegen die Aussage «Pass auf, was nächsten Freitag passiert». Je genauer ein Ort oder ein Datum genannt werden, desto eher hat ein potenzieller Täter Pläne geschmiedet.


Ort des Verbrechens: Ende August hat ein Nordmazedonier in dieser Strasse in Dietikon seine Ex-Frau ermordet. Foto: BRK News

Warum kam es im Fall Dietikon zur Tötung? Das ist schwierig zu sagen. Manchmal dauert es einfach zu lange, bis etwas unternommen werden kann. Beispielsweise gibt es für eine Missachtung des Rayonverbots nur eine Busse. Die kommt dann nach Monaten und ist so natürlich wirkungslos.


Sie fordern raschere Konsequenzen. Männer, die das Rayonverbot der Polizei zweimal missachtet haben, sollten inhaftiert werden können. Das hätte Signalwirkung und könnte solche Taten verhindern.


Der mutmassliche Täter von Dietikon hat seine Frau kurz nach Ablauf des Kontakt- und Rayonverbots getötet. Wie oft kommt es vor, dass sich die Situation nach Ablauf wieder verschlimmert? Oft beginnen die Belästigungen dann wieder. Dass er die Frau mit SMS bedrängt, dass er sie über ihr Umfeld versucht zu manipulieren, sie auf ihrem Arbeitsweg abpasst oder gar beim Arbeitgeber anruft. Das ist eine enorme Belastung fürs Opfer.


Trotzdem sprechen Sie sich gegen eine Verlängerung von Rayonverboten aus. Warum? Das Gewaltschutzgesetz des Kantons ist sehr gut, weil es niederschwellig ist. Die Polizei kann aus eigener Initiative in der Wohnung der Betroffenen verfügen, dass der Mann seine Sachen packen und für zwei Wochen wegmuss. Das kann die Frau einmalig für drei Monate verlängern. Würde man das Verbot auf sechs oder 12 Monate verlängern, befürchte ich, dass die Polizei weniger Verbote ausspräche. Wichtiger ist aber, welche Massnahmen man hat, wenn dieses Verbot ausgelaufen ist.


Also wenn Männer der Frau weiter nachstellen. Im Gegensatz zu Deutschland kennt die Schweiz noch immer keinen Stalking-Artikel. Das ist ein Problem. Wenn der ehemalige Partner sich mehrmals pro Woche meldet oder mit einem heimlichen Account im Namen des Opfers verleumderische Sachen publiziert, greift das Gesetz nicht. Die Frau müsste eine Nötigung oder Drohung geltend machen, um ein Strafverfahren eröffnen zu können. Zudem liegt die Beweislast beim Opfer, was bei einem strafrechtlichen Stalking-Artikel nicht der Fall wäre.

Wie hat sich die Gewaltprävention in den letzten Jahren im Kanton Zürich verändert? Die Polizei hat ihre Hausaufgaben gemacht. Sie hat viel in die Prävention investiert, ganze Abteilungen aufgebaut, Tools entwickelt, um gefährliche Gewalttäter zu erkennen. Aber es gibt Aufholbedarf.


Wo? Die Opferhilfe muss bekannter werden. Betroffene Frauen müssen wissen, was ihre Rechte sind, an wen sie sich neben der Polizei wenden können. Und es muss die Möglichkeit geben, dass sich die Behörden regelmässig zum Thema häusliche Gewalt weiterbilden.


Warum? Im Fall Dietikon haben sich die Eltern das Sorgerecht geteilt, obwohl man wusste, dass der Mann gewalttätig war. Das finde ich nicht gut. In solchen Fällen müsste die Kesb verlangen, dass dieser Mann kein Sorgerecht und keine gemeinsame Obhut erhält. Da braucht es mehr Sensibilisierung.


Und was müssen die Gerichte besser machen? Wenn es zu Gewalt kommt, ist das meist nur die Spitze des Eisberges. Das Gericht weiss das. Es darf nicht davon ausgehen, dass eine Trennung die Situation beruhigt. Die Kinder werden weiter instrumentalisiert. Gerichte verlangen dennoch höchst selten, dass ein Täter in ein Programm muss, um überhaupt ein gemeinsames Sorgerecht verlangen zu können. In diesen Programmen lernen sie, ihre Kinder in solchen Konflikten nicht mehr zu instrumentalisieren.


Kann man eine solche Person überhaupt ändern? In der Regel wollen Eltern immer das Beste fürs Kind. Wenn man den Tätern bewusst machen kann, dass sie mit ihrem Verhalten aber genau ihren Kindern schaden, sind manche von ihnen durchaus lernfähig.


Fünf von sieben Tötungen passierten im häuslichen Bereich

Am 31. Mai nahm ein 60-Jähriger in Wiedikon seine Ex-Freundin und deren Mitbewohnerin als Geiseln, erschoss sie und richtete sich danach selbst. Am 18. Juli erschoss in Affoltern am Albis ein 53-jähriger IT-Forensiker seine Frau, die beiden Söhne und dann sich selbst. 10 Tage später erstach ein 33-Jähriger nach einem Streit seine Ehefrau. Und am 26. August ermordete ein Nordmazedonier kurz nach Ablauf des Rayonverbots seine Frau in Dietikon. Die Mehrheit aller Tötungsdelikte in der Schweiz geschieht im familiären Umfeld. 2018 gab es 27 Tötungen im häuslichen Bereich. Im Kanton Zürich waren 2018 fünf von sieben Tötungen auf häusliche Gewalt zurückzuführen. Fast immer sind Frauen die Opfer. (lia)


2018 hat die Schweiz die Istanbul-Konvention ratifiziert, das umfassendste internationale Abkommen im Kampf gegen Gewalt an Frauen. Das war sehr wichtig. Ein internationales Gremium kann ab jetzt kontrollieren, welche Massnahmen die einzelnen Länder ergriffen haben, und sie rügen, wenn sie nicht dem Abkommen entsprechen.


Wo steht die Schweiz? In der Schweiz gibt es beispielsweise weiterhin keine nationale Hotline für Gewaltopfer. Das kann man nun öffentlich rügen.


Was wird sich ändern? Gesamtschweizerisch soll dem Thema häusliche Gewalt an Schulen mehr Platz eingeräumt werden, Lernprogramme für gewalttätige Menschen sollen gefördert und die Opferhilfe bekannter werden. Primär müssen aber die Kantone neue Massnahmen umsetzen.


Was macht der Kanton Zürich? In Zürich befasst sich beispielsweise eine Arbeitsgruppe damit, ein Krisenzentrum für Opfer von sexueller Gewalt aufzubauen. Nach einer Vergewaltigung haben Opfer dort die Möglichkeit, alles dokumentieren zu lassen. Sie können sich dann auch erst später entscheiden, ob sie tatsächlich Anzeige erstatten wollen. Der Kanton Zürich ist wirklich bemüht, die Situation zu verbessern.


Trotzdem müssen Frauenhäuser Frauen wegweisen, weil sie keinen Platz haben. In Winterthur wollte der Stadtrat die Defizitgarantie des städtischen Frauenhauses zur Disposition stellen. Das ist eine Schande für die reiche Schweiz. Diese Orte sind für viele Frauen die letzte Option, damit sie sich vor dem Schlimmsten schützen können. Es ist nicht gut, wenn Kantone oder Städte hier sparen. Ich befürchte, dass es auch bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention Kantone geben wird, die sparen wollen. Dasselbe ist bei den Fachstellen für Gleichstellung passiert. Viele wurden ganz gestrichen oder so reduziert, dass sie ihre Arbeit nicht mehr machen können.


Link zum Artikel hier.


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